Uff, es gibt auch gute Feministinnen!

Esther Brunner
be queer!
Published in
12 min readDec 16, 2017

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Berichterstattung und Kommentare zur neu aufgeflammten Diskussion über Feminismus folgen einem Muster: Gewisse feministische Forderungen und Aktionsformen werden als Zumutung dargestellt. Das kommt an, weil es uns moralisch entlastet. Durch die Einteilung in einen guten, berechtigten Feminismus und einen schlechten, überzogenen Feminismus soll wieder Ordnung hergestellt werden.

«Feminism» ist das Wort des Jahres von Merriam-Webster. Die «Silence Breakers», die unter dem Hashtag #MeToo das jahrelange Wegsehen bei sexualisierter Gewalt medial problematisiert haben, sind Person of the Year des Time Magazines. In erzkonservativen Alabama haben vor allem schwarze Wähler’innen dafür gesorgt, dass nicht ein Pädophiler als Senator nach Washington gesandt wird und damit dem für sexualisierte Übergriffe bekannten amerikanischen Präsidenten eine empfindliche Niederlage bereitet. — Feminismus bewegt. Zeit für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Bewegung, die lange für sicher geglaubte Machtgefüge zu destabilisieren droht. ☂️

Gleich mehrere bekannte Autorinnen — starke Frauen wie Michèle Binswanger, Regula Stämpfli und Federica de Cesco — melden sich zu Wort und versuchen für die verunsicherte Leser’innenschaft das Phänomen einzuordnen. Doch dabei vergaloppieren sie sich gründlich. 🙈

Der Grundtenor lautet bei allen: Feminismus ist gut und war nötig, um gleiche Rechte zu erkämpfen 👍, doch was heute als Feminismus verkauft wird, sei naiv, oberflächlich oder gehe zu weit👎. Diese These wird in breiten gesellschaftlichen Schichten gern gehört, weil sie dem Unbehagen gegenüber Ansprüchen, neu auszuhandeln, wie wir uns verhalten und ausdrücken sollen, eine Stimme verleiht. Die drei genannten Autorinnen zeichnen mit einer gewissen feministischen Autorität berechtigte Anliegen quasi mit einem Gütesiegel aus und disqualifizieren in ihren Augen überzogene Forderungen. Die verunsicherten, von selbstdiagnostizierter Tugendüberforderung 😨geplagten Leser’innen können erleichtert aufatmen: «Puh, die sieht das ganze Theater auch so. Dann brauche ich das ja nicht ernst zu nehmen.» 🙄😜🤣

Bei allem Respekt, liebe Federica de Cesco, Regula Stämpfli und Michèle Binswanger: Das ist für feministische Anliegen nicht gerade hilfreich. Merkt ihr nicht, dass eure von euch als ehrlich empfundenen, mit guter Absicht geäusserten Aussagen von rechtspopulistischer Seite instrumentalisiert werden, um scharf gegen uns queer-feministische Frauen zu schiessen? 🎯 Warum lasst ihr euch hinreissen zu Statements, die auf ungenügender Recherche basieren, Positionen nicht fair wiedergeben, unsere Anliegen in einen schiefen Licht erscheinen lassen oder schlicht inhaltlich falsch sind? 🤔😤😡

Propagadatechniken

Manchmal hilft Humor 😂 am besten, beängstigende Vorgänge in unserer Gesellschaft verständlich zu machen. So identifiziert John Oliver in seiner Show «Last Week Tonight» drei Grundtechniken, wie die Mächtigen (in diesem Fall US-Präsident Trump) versuchen, unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen:

  1. Legitimität absprechen (Delegitimizing) 🙄
  2. Mit Scheinargumenten ablenken (Whataboutism) 👻
  3. Gegner’innen provozieren (Trolling) 👹

Diese drei Propagandatechniken sehe ich auch am Werk, wenn erfolgreichen Frauen in grossen Tageszeitungen viel Platz eingeräumt wird, um als Kronzeuginnen die aktuelle feministische Bewegung naserümpfend zu kommentieren. 😖

In ihrem Blogpost «Wie über Feminismus berichtet wird» beschreibt Franziska Schutzbach die oftmals frustrierende Erfahrung feministischer Aktivist’innen mit den Medien: 🙁

«Wann immer sie den Mund aufmachen, setzt die Zeitung garantiert einen Titel, der vieles verdreht, falsche Dinge unterstellt, individualisiert, in ein peinliches und lächerliches Licht stellt, Gesamtzusammenhänge unterschlägt.»

Das ist zwar kein spezifisches Problem mit dem Feminist’innen konfrontiert sind, aber es ist wohl kein Zufall, dass es auffallend oft vorkommt, wenn Frauen Machtverschiebungen und Verhaltensänderungen fordern. 💪

Feminist’innen die Legitimität absprechen

Es beginnt mit der Beschreibung der Akteur’innen: Binswangers Artikel in Tagi/Newsnetz trägt den Titel «Wie Frauen kämpfen». Das suggeriert zum einen, Frauen würden anders politisch kämpfen als die implizit gesetzte männliche Norm. Zum anderen wird Feminismus weiterhin ausschliesslich als ein Frauenanliegen dargestellt. Männer und non-binäre Menschen, die sich ebenfalls für feministische Anliegen engagieren, werden ausgeblendet. Obwohl auch Menschen an den Feministischen Diskussionstagen (FeDiTa) teilgenommen haben, die keine Frauen sind, verwendet Binswanger ausschliesslich weibliche Bezeichnungen (bis auf «Punks») — und zwar solche, die gesellschaftlich nicht den besten Ruf haben: 🤡

«Akteurinnen aus selbst verwalteten Kollektiven und anarchistischen Frauengruppen, alleinerziehende Mütter, […] Gewerkschaftlerinnen, Punks und Dykes».

«Dyke» — soviel als Erklärung — ist eine Rückaneignung eines Schimpfworts, das innerhalb der Lesbenszene als affirmative Selbstbezeichnung verwendet wird. Als Fremdbezeichnung ist der Begriff abwertend und grob. Durch Vergleiche mit einer Versammlung der Anonymen Alkoholiker und einer geschützten Werkstatt wird vermittelt, es gehe mehr um Selbsthilfe als um eine politische Agenda. 🥊

Warum hat die Frau mit rosaroten Haaren im Artikel keinen Namen?

Bei einer Versammlung der Bankiervereinigung würde sich Michèle Binswanger wohl kaum so ausdrücken. Wahrscheinlich hätten die Menschen, die das Wort ergreifen, Namen und würden nicht bloss mit äusserlichen Attributen und mit auf niedrigen sozialen Status hindeutenden Bezeichnungen beschrieben. Wahrscheinlich würde sie darlegen, worum es in der Debatte geht, statt die Themen nur anzureissen und sogleich mit dem Verweis auf angeblich diffuse und ungenaue Diskussionen wieder zu disqualifizieren. 😶

Federica de Cesco nennt die neuen Frauenbewegung «naiv», Ausdruck von einem «flüchtigen Zeitgeist» und so aufgesetzt wie die Pussyhats. Aktionen wie die Einfärbung von Brunnen seien «ideologische Effekthascherei» und «hirnverbrannt». Eine argumentative Kritik am Symbol der Pussyhats oder der Art, wie Menstruation mit dieser international beachteten Brunnen-Aktion thematisiert wird, leistet sie dagegen nicht. Scheinbar geht es nur darum, die friedlichen, bunten und kreativen Aktionsformen der jungen Feminist’innen als nicht beachtenswürdig zu markieren. 😛

Aus den Formulierungen, mit denen Regula Stämpfli in ihrem Kommentar in der BaZ queer-feministische Aktivist’innen diskreditiert, spricht blinde Wut: Es seien die «Idioten, die Kinder mittelreicher Eltern, die Verklemmten, die Anorektischen, die Ödipus-Intellektuellen, die Klugscheisserinnen und die Nerds», die nun mit aller Inbrunst ein «veritables, narzisstisch gestörtes Hetztag-Mobbing» in der öffentlichen Diskussion betreiben würden. — Wer so beschrieben wird, kann ja keine legitimen Forderungen vertreten. 🐲

Worauf ich hinaus will: Es ist kein Zufall, dass Frauen in den Artikeln und Interviews der genannten Autorinnen als naiv, als Opfer und als Betroffene dargestellt werden. Was Frauen tun, ist entweder diffus/wirkungslos/ambivalent 😺 oder übertrieben/hirnverbrannt/umstritten 🙀. Darum muss am Ende von Binswangers Artikel natürlich noch ein männlicher Experte 👨‍🎓 zitiert werden, der gute Tipps zum Umgang mit sexualisierter Gewalt geben kann: «Man müsse aufhören, auf Opfer und Täter zu fokussieren» und die Gewaltopfer seien zunehmend «aggressionsgehemmt». — Voila! Selber schuld. Dann können wir ja bequem weiterhin wegsehen. 😎 Was Alex Maspoli sonst noch sagt, ist nicht falsch, aber mit den genannten Formulierungen trägt er leider zu einer Delegitimation der Gewaltbetroffenen bei. 💣

Mit Scheinargumenten ablenken

Eine beliebte Strategie, unangenehmen Fragen auszuweichen, ist, auf angebliche Verfehlungen der Gegenseite hinzuweisen. Michèle Binswanger bedient sich dieses Tricks, indem sie nach dem Anreissen einiger Themen, die «irgendwie mit Feminismus zu tun» hätten, diskussionslos zu offenen Gegenfragen übergeht:

«Werden die Richtigen zur Rechenschaft gezogen, oder geht es um pauschale Schuldzuweisungen? Hilft das Täter-Opfer-Schema überhaupt weiter? Oder handelt es sich auch dabei um ein grosses Missverständnis?»

Das eine, dass vor allem Frauen immer wieder zu Opfer von sexualisierter Gewalt gemacht werden und dass unsere Gesellschaft darauf viel zu lange mit Wegschauen 😎 und Tabuisieren 🤐 reagierte, hat doch nichts mit dem anderen, nämlich der zunehmend faschistoiden Diskussionskultur in sozialen Medien, zu tun. Letzteres verfolge ich übrigens auch mit grosser Sorge. Aber ich finde es bezeichnend, dass ausgerechnet dann, wenn Feminist’innen in sozialen Medien auf Missstände hinweisen, mit Kampfbegriffen wie «Hexenjagd», «Säuberungsprozesse» und «Hashtagfeministinnen» (Stämpfli) das eine konzeptuell mit dem anderen verbunden wird. 🦅

Offenbar ist alles, was Feminist’innen tun, irgendwie falsch.

Ein anderes Beispiel: Etwas weiter im Text weiss Binswanger plötzlich ganz genau, was feministische Themen sind und was nicht: «Dass es bei der Schutzbach-Affäre nicht in erster Linie um ein feministisches Thema, sondern um die politische Stimmungslage im Land geht, ist dabei zweitrangig.» — Die Art und Weise, wie über Franziska Schutzbach in rechtsgerichteten Medien geurteilt wurde, hat scheinbar rein gar nichts mit ihrem Geschlecht und ihrer Rolle als Genderforscherin zu tun. Und nach Binswangers Meinung sollte sich der Feminismus wohl besser auch aus der politischen Stimmungslage im Land raushalten. 🙊

Perfid ist auch, wie Binswanger die Aktion einer Bäckerei während den 16 Tagen gegen Gewalt an Frauen in Frage stellt: Ob Brottüten mit dem Spruch «Häusliche Gewalt kommt nicht in die Tüte» den Frauen helfe, für die Gewalt das täglich Brot sei, bleibe offen, stellt sie rhetorisch fest. Die Leser’innen wissen: natürlich nicht. Genauso wenig wie Werbung für ein Telecom-Angebot mit schnellem Internet dazu führt, dass die Verbindungsgeschwindigkeiten im Internet steigen. Jedenfalls nicht direkt. 🐌

Binswanger und Stämpfli bedienen das rechte Narrativ, es herrsche eine Diktatur der «Political Correctness». Mit Sätzen wie «In immer neuen Wellen branden Diskussionen um Sexismus, Gleichstellung und Machtverhältnisse über uns hinweg.» und «Fehlen nur noch die Triggerwarnungen, […]» erweckt Binswanger den Anschein, dass Feminismus drauf und dran sei, Eingriffe in das natürliche Verhalten der Menschen, in die freie Meinungsäusserung und die Sprache verbindlich durchzusetzen. Stämpfli rückt «Agent*In — ein Antifemismus-kritisches Online-Lexikon» der Heinrich Böll Stiftung in diesen Zusammenhang und spricht von «sozialer Kontrolle und Überwachung», von «hegemonialen Weltbildern», «Säuberungsprozessen», «Gesinnungsdenunziation, Ausgrenzung und Aufruf zur Verfolgung Andersdenkender». — Aha, Feminist’innen seien also die wahren Nazis! 🍄😉

Doch schauen wir genauer hin! Was ist die vorherrschende Macht, die anderen Akteur’innen nur eingeschränkte Möglichkeiten lässt, ihre Vorstellungen und Interessen praktisch durchzusetzen?

  • Sind es eher mächtige Männer, die ihre soziale Position ausnutzen um Frauen und Kinder zu sexuellen Gefälligkeiten zu nötigen? ☢️ Oder sind es eher die Feminist’innen, die dieses übergriffige Verhalten anklagen? 🗣
  • Sind es eher cis Menschen, die an öffentlichen Orten fast überall ein für ihr Identitätsgeschlecht bestimmtes WC vorfinden, das sie ohne Angst vor sozialer Kontrolle, Stigmatisierung und Gewalt benutzen können? 🚹🚺 Oder sind es eher die trans und non-binären Menschen, die dieses Privileg nicht haben und nun mitunter Unisex-Toiletten fordern? 🚾
  • Sind es eher junge Männer, die sich ohne Zweifel angesprochen fühlen, wenn ein Artikel eines männlichen Autors mit dem Titel «Die Schweiz braucht mehr Informatiker und Entwickler» einen männlichen Jungunternehmer porträtiert? 👨‍💻 Oder sind es eher junge Frauen, die sich nicht sicher sein können, ob sie wirklich, wirklich (auch praktisch) mitgemeint sind, und deshalb auf eine geschlechtergerechte und inklusive Sprache pochen? 👩‍🎨

Die angeblichen Verfehlungen zu «Political Correctness» des Feminismus sind eine Erfindung von rückwärtsgewandten Feuilleton-Autor’innen. «Political Correctness» ist ohnehin ein an die Wand gemaltes Schreckgespenst 👻 von Positionen, die niemand ernsthaft vertritt. Aber da dieses Schreckgespenst nun mal fast so bekannt ist wie Einhörner mit regenbogenfarbener Mähne 🦄 oder der liebe Gott mit langem weissem Bart 🎅🏻 — Figuren, die es wahrscheinlich ebenfalls nicht gibt — eignet sich «Political Correctness» doch bestens als Totschlag-Scheinargument, um diese «lästigen Feminazis» aus dem Weg zu räumen, bevor sie uns die Bezeichnung «M**renkopf» 👦🏿 verbieten. Aus Falschem kann mensch logisch schlüssig Beliebiges folgern. 🤥😜

In dieser Stossrichtung inszeniert sich Regula Stämpfli mit heiligem Eifer als mutige Kämpferin gegen angeblich so allgegenwärtige und wirkungsmächtige Tendenzen, die politischen Kommunikation zu zensieren. Die rassistische Bezeichnung «M**renköpfe» für Schaumküsse werde als ebenso schlimm angeschaut wie «die furchtbare alltägliche sexuelle Gewalt». — Halt, wer behauptet sowas oder vergleicht zwei so komplett unterschiedliche Dinge miteinander? Mir bleibt auch vollkommen schleierhaft, wie Stämpfli «heteronormative Rituale» in der Argumentation zur Umbenennung von Süssgebäck verankert sieht. Niemand behauptet so einen Stuss. 😳

Queer-Feminismus: strukturelle Gemeinsamkeiten der Diskriminierungsformen und Befreiungsbestrebungen mit anderen marginalisierten Gruppen werden betont.

Ich sehe den Feminismus als eine Befreiungsbewegung in den Fussstapfen der Aufklärung. Uns geht es um Freiheit, wie Stämpfli nach eigenem Bekunden auch. Viele Feminist’innen kämpfen täglich dafür, dass Menschen mit unterschiedlichem zugeschriebenem Geschlecht und unterschiedlichen sozialen Rollen vergleichbare Verwirklichungschancen für ihre je unterschiedlichen Lebensentwürfe haben. ✊️ Wir kämpfen gegen Armut, Ungleichheit, Unterdrückung und andere soziale Probleme, auch wenn Stämpfli das nicht sieht. 👊 Der Unterschied des heutigen Queer-Feminismus zu anderen Strömungen innerhalb des Feminismus ist vielleicht, dass wir die strukturellen Gemeinsamkeiten der Diskriminierungsformen und Befreiungsbestrebungen mit anderen marginalisierten Gruppen betonen. 👧🏻👧🏼👧🏽👧🏾👧🏿 So ist es auch folgerichtig, dass wir beim Sprachgebrauch nicht nur geschlechterspezifische Stereotypen vermeiden, sondern auch von Begriffen mit einem rassistischen Ursprung Abstand nehmen. Deshalb: Wer noch nicht unterschieben hat, bitte unterzeichnet die Petition «Schaumküsse müssen nicht rassistisch sein». 📝

Nothing about us without us!

Stämpfli kritisiert, dass Queer-Feminist’innen Dinge, die andere Strömungen des Feminismus klar abgelehnt hatten, wie beispielsweise die Burka, Sexarbeit oder Leihmutterschaft, verteidigen würden. Das stimmt nur bedingt. Keine mir bekannte Theoretiker’in oder Aktivist’in vertritt, dass es sich bei diesen Dingen um uneingeschränkt positiv zu bewertende soziale Phänomene handelt. Vielmehr schliessen einige (mich eingeschlossen) nicht aus, dass es respektable Gründe gibt, eine Burka zu tragen, Sexarbeit zu leisten oder ein Baby für ein fremdes Paar auszutragen. Und wir pochen darauf, dass die Gesellschaft diese Frauen nicht ausgrenzt, sondern dafür sorgt, dass ein würdiger, selbstbestimmter Lebenswandel und faire, sichere Arbeitsbedingungen auch für diese Frauen möglich werden. Wir warnen davor, in Form von paternalistischen Verboten über die Köpfe dieser Frauen hinweg zu bestimmen, was gut für sie sei. Nothing about us without us! Selbstverständlich kämpfen Queer-Feminist’innen weiterhin auch dafür, dass keine Frau Sexarbeit leisten, ein Kind austragen, eine Verhüllung, ein rosarotes Kleid tragen oder immer sexy erscheinen muss. Selbstbestimmung für alle Frauen! 👑

Gegner’innen provozieren

Trolle soll eins nicht füttern. Viele der Formulierungen, die Regula Stämpfli verwendet, bezwecken einzig und allein, die Gegner’innen zu ärgern und zu einer Reaktion zu bewegen. Das ist ihr in meinem Fall gelungen. 😡 Auf die unterste Schublade der Argumentation lasse ich mich jedoch nicht ein. Die Gleichsetzung der rechten und linken Kampfbegriffe «Genderismus» und «Neoliberalismus», die Verdrehung der Theorie von Judith Butler als «Kauf! Mich!»-Ideologie samt Totalitarismus-Vorwurf und die Verunglimpfung von Queerfeminist’innen als «hippe Gender-Google-Apple-Facebook-Avantgardist’innen» sind einfach nur absurd. Ich wundere mich ehrlich gesagt auch, dass das Niveau der BaZ bereits derart gesunken ist, dass sie einen Artikel, der mit typografischem SCHREIEN und einer Aneinanderreihung von heftigen Beschimpfungen gespickt ist, überhaupt veröffentlicht. 😮

Ich verstehe nicht, was das Rumgetrolle von Stämpfli soll. Der folgende Satz lässt jedoch erahnen, dass Ausgrenzungserfahrungen der Auslöser sind:

«Jede atheistische und säkulare Aktivistin, die beispielsweise in der Burka nicht das Gleichstellungsprogramm für das 21. Jahrhundert erkennen will, wird mit dem Faschismusfuror belegt und aus dem eigenen feministischen Netzwerk ausgegrenzt.»

Darum will ich versöhnlich schliessen. 🕊 Ich verstehe mich ebenfalls als atheistische und säkulare Aktivistin, die nicht an Himmel 😇 und Hölle 😈 glaubt. Ich glaube, dass Menschen zu Institutionen wie queeren Sex-Partys 💃 und Konzentrationslagern ⛓ in der Lage sind. Als queer-feministische, polyamor lebende trans Frau bin ich mir sehr bewusst, wie brüchig unsere Freiheit ist. 🥚 Je nach politischer Stimmungslage werde ich meine Freund’innen in der einen oder der anderen menschengemachten Institution wieder treffen. Bei den gegenwärtigen gegenaufklärerischen Umwälzungen befürchte ich, es werden früher oder später eher Konzentrationslager sein. ☠️

Die wahren Nazis sind in mehreren Staaten bereits auf gutem Weg, mühsam erkämpfte demokratische Institutionen schlecht zu reden, mit knappen Kassen, unsinnigen rechtlichen Beschränkungen oder Zensur zu schleifen – mit der Macht des Staates, den ihre neoliberalen Gehilfen doch so verachten. 🆘

Spätestens jetzt ist es Zeit, mir eine Zigarette anzuzünden 🚬 und mich bereit zu machen für eine pulsierende 🏳️‍🌈 LGBTIQA*-Party, 💃 wo ich mit Freund’innen die «butlersche ‹schöne neue Genderwelt›» feiern kann. 👩‍❤️‍👩💑👨‍❤️‍👨 Denn wer weiss, wie lange dies noch ungestraft möglich sein wird.

Das Patriarchat spricht auch durch Frauen

Ich will keine der genannten Frauen angreifen oder schlecht machen. Ich bin mir bloss bewusst, dass das Patriarchat zuweilen auch durch Frauen spricht. Ein anderes Beispiel aus jüngster Zeit ist, wie die Präsidentin der FDP-Frauen sich herablassend über die Parlamentskollegin Céline Amaudruz äusserte, die den Mut hatte, den auch im Bundeshaus grassierenden Sexismus offen zu benennen. Aber ist es gerechtfertigt, von Frauen höhere moralische Standards einzufordern als beispielsweise von den Herren Köppel und Amstutz, die unverholen die Grenzen zu verbalem Sexismus immer wieder ritzen? 🔪

Die Antwort ist «nein». Dennoch erwarte ich von Frauen, die sich im Herzen feministisch verstehen (so lese ich Binswanger, de Cesco und Stämpfli), dass sie ihre Worte gerade auch wegen ihrer Bekanntheit mit Bedacht wählen. 🦉

Die feministische Singer-Songwriterin Rachel Lark formuliert in ihrem Song 🎼🎶🎤 «Free the Nipple» sehr schön, wie schwierig es ist, dass Feminist’innen mit sehr unterschiedlichen Ausgangslagen und konkreten Zielen an einem Strang ziehen. Statt dessen kämpfen alle für sich und leider zu oft auch gegen einander. Lark ertappt sich selber dabei, wie sie genervt reagierte, als sie von einem Mann gefragt wurde, einen Song über die Bewegung «Free the Nipple» zu schreiben. Es gebe deutlich wichtigeren 💩, wie zum Beispiel Lohnungleichheit, sexualisierte Gewalt, die Geringschätzung von Care-Arbeit, die Reduktion von Frauen auf Äusserlichkeiten oder die sprachliche Herabwürdigung von selbstbewussten Frauen, «but you Sir are inspired by a movement that gets women to take their shirt off in the street, snap a picture, add a hashtag and tweet». — Doch sie besinnt sich:

«Could it be that this world is big enough for all the things that women want to do? One thing that I hate most, is women telling other women they’re doing feminism wrong. Life’s hard enough, everyone. So it’s important that we all get along and support each other’s struggles as different as they may be.»

Und dann erläutert sie, warum eine Befreiung der weiblichen Brustwarzen in der Öffentlichkeit wichtig ist. — Bravo! Nehmen wir uns ein Beispiel an Rachel Lark! 👏

Update 21. Dezember 2017

Nach den teils stürmischen Reaktionen auf diesen Artikel habe ich ein Follow-Up geschrieben, das auch meinen eigenen eigenen Schreibstil reflektiert: «Oh no, I did it too!».

Update 10. März 2019

Ich habe den Artikel sprachlich leicht überarbeitet, indem ich rassistische oder ableistische Begriffe ersetzt habe und zur Apostroph-Notation als inklusive Pluralform für gemischtgeschlechtliche Gruppen gewechselt habe. Der Apostroph ist ein Auslassungszeichen und steht für das Gender-Sternchen oder den Unterstrich. Ausserdem habe ich auf die problematische Bezeichnung «Frauen*» verzichtet. Der Stern sollte damals andeuten, dass nicht die biologistische Kategorie gemeint ist, die Geschlechtsidentität am Aussehen der Geschlechtsorgane bei Geburt festmacht. Dass «Frauen» etwas anderes meint als das, sollten 2019 alle begriffen haben. Es war nicht meine Absicht, mit dem Begriff «Frauen*» non-binäre Menschen, trans Frauen oder gar trans Männer als «so etwas ähnliches wie Frauen» erscheinen zu lassen. Trans Frauen sind Frauen. Trans Männer und non-binäre Menschen sind keine Frauen.

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User Interface Developer und Spezialistin für Inclusive Design bei @zeix, queer-feministische Denkerin und Aktivistin, schreibt für @be_queer (sie/ihr)