Oh no, I did it too!

Esther Brunner
be queer!
Published in
3 min readDec 21, 2017

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Ich war wütend und frustriert, als ich den Artikel «Uff, es gibt auch gute Feministinnen!» verfasste. Warum gopfertelli sind es ausgerechnet erfolgreiche Frauen, die sich selber als Feminist’innen verstehen, die anderen Formen des Feminismus als sie selber vertreten, die Glaubwürdigkeit absprechen und sie scharf kritisieren?

Vorgestern habe ich den Artikel via Social Media verbreitet. Der Artikel erhielt eine (für meine bescheidenen Verhältnisse als sporadische Bloggerin) äusserst grosse Aufmerksamkeit. Freund’innen und Unbekannte gratulierten mir und bedankten sich, dass ich auf den Punkt gebracht habe, was sie schon lange stört an der Art, wie in den Schweizer Massenmedien über Feminismus geschrieben und gesprochen wird. Offenbar habe ich das, was viele denken und fühlen, getroffen und ihm Ausdruck verliehen.

Dennoch bin ich nur halb zufrieden. Die nun gelassenere Esther hat erkannt, dass die wütende Esther genau dieselben Propagandatechniken, die sie anderen vorwarf, selber eingesetzt hat.

  • Ich habe erstens drei sehr unterschiedliche Texte von drei sehr verschiedenen Frauen gemeinsam kritisiert und sie dabei nicht von der besten Seite dargestellt. Bei dieser Vorgehensweise bin ich weder den Texten noch den Stärken und Verdiensten der Autorinnen gerecht geworden. Das habe ich willentlich in Kauf genommen. So habe ich — ohne dass dies mein Ziel gewesen wäre — Regula Stämpfli, Michèle Binswanger und Federica de Cesco die Kompetenz abgesprochen und sie dem Spott der Leser’innen meines Artikels preisgegeben. Genau das ist die politische Strategie des «Delegitimizing», die ich in der öffentlich vorgetragenen Darstellung gewisser feministischer Forderungen und Aktionsformen der drei Autorinnen verorte und kritisiere.
  • Zweitens ging es mir nicht darum, argumentativ auf die Inhalte der einzelnen Texte einzugehen (ich habe sie ja nicht mal verlinkt) und die Positionen der Autorinnen fair nachzuzeichnen. Stattdessen begnügte ich mich damit, auf Verfehlungen der Gegenseite hinzuweisen. Ich stehe zu meinen Aussagen, aber ich verstehe auch, dass sich die angegriffenen Frauen weder verstanden, noch ernst genommen oder fair behandelt fühlen. Was ich herausgepickt habe, ist doch gar nicht der Punkt ihrer Texte. Ja, im Tonfall vergreifen sich die Autorinnen, aber das ist doch ein vergleichsweise kleines Vergehen relativ zum Rest. — Diese politische Strategie wird als «Whataboutism» bezeichnet.
  • Drittens habe ich bewusst provoziert. Ich hätte nicht unbedingt von Nazis, Sex-Partys und Konzentrationslagern sprechen müssen. Das trägt zur Diskussion ebenso wenig bei wie die Emojis. Ich war mir beim Schreiben des Artikels durchaus bewusst, dass diese Begriffe und Zeichen stark emotional aufgeladen sind. Das passte zu meiner Wut, die ich während des Schreibens empfand. Das ist super geeignet, um die Kontrahendinnen auf die Palme zu bringen. Und emotional aufgeladene Begriffe bestärken gleichzeitig auch die Leser’innen, die mir zustimmen: Endlich sagt es mal jemand laut und deutlich! — Aber das ist nichts anderes als «Trolling», Rumgetrolle meinerseits.

Die drei im Artikel kritisierten Propagandatechniken stimmen so passgenau auf die Punkte, derer ich mich schuldig bekenne, dass dahinter eine Absicht vermutet werden könnte. Das ist jedoch nicht der Fall. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich in blinder Wut und heiligem Eifer genau das betrieben habe, was ich kritisiere: Das gegenseitige Zerfleischen innerhalb des Feminismus. Ich möchte mich auch dafür entschuldigen, dass mein Text und seine Diskussion in Sozialen Medien unter anderem zu einer Dynamik beigetragen haben, die als «Silencing» der Politologin Regula Stämpfli bezeichnet werden muss.

Update 10. März 2019

Ich habe den Artikel sprachlich leicht überarbeitet, indem ich zur Apostroph-Notation als inklusive Pluralform für gemischtgeschlechtliche Gruppen gewechselt habe. Der Apostroph ist ein Auslassungszeichen und steht für das Gender-Sternchen oder den Unterstrich. Ausserdem habe ich auf die problematische Bezeichnung «Frauen*» verzichtet. Der Stern sollte damals andeuten, dass nicht die biologistische Kategorie gemeint ist, die Geschlechtsidentität am Aussehen der Geschlechtsorgane bei Geburt festmacht. Dass «Frauen» etwas anderes meint als das, sollten 2019 alle begriffen haben. Es war nicht meine Absicht, mit dem Begriff «Frauen*» non-binäre Menschen, trans Frauen oder gar trans Männer als «so etwas ähnliches wie Frauen» erscheinen zu lassen. Trans Frauen sind Frauen. Trans Männer und non-binäre Menschen sind keine Frauen.

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User Interface Developer und Spezialistin für Inclusive Design bei @zeix, queer-feministische Denkerin und Aktivistin, schreibt für @be_queer (sie/ihr)