Notenabzug für unsensible Sprache

Esther Brunner
be queer!
Published in
5 min readMay 17, 2018

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Ich ereiferte mich gestern Abend. Wie eine Furie rief ich dazwischen und sagte Leuten auf unfreundliche Art, ungefragt meine Meinung. Nicht nett. Ich spürte Wut und habe meinem Zorn Ausdruck gegeben. Anlass war ein Podium im Zentrum «Karl der Grosse» zu «Inklusive Sternchen — Podium zu gerechter Sprache».

Auf dem Podium von links nach rechts: Maria Iseli (Moderation, Karl der Grosse), Deborah Mühlebach (Doktorandin Sprachphilosophie Uni Basel), Ronnie Grob (Journalist Schweizer Monat), Claudia Wirz (Publizistin und Sinologin) und Daniel Elmiger (Sprachwissenschaftler Uni Genf)

Warum habe ich mich so aufgeregt? Ausgerechnet bei einem Podium, dessen Thema der respektvolle Sprachgebrauch hätte sein sollen.

Es beginnt damit, welche Menschen zum Podium als ExpertInnen geladen wurden, um über die sprachliche Berücksichtigung von welchen anderen Menschen zu verhandeln. Wenn ich im vorhergehenden Satz — entgegen meinem üblichen Sprachgebrauch — «ExpertInnen» mit Binnen-I geschrieben habe, so ist das bewusste präzise Sprache: Auf dem Podium sassen ausschliesslich cis Menschen, die es (mit der löblichen Ausnahme der Philosophin Deborah Mühlebach) auch nicht für nötig hielten, die eigene privilegierte Position zu reflektierten, nämlich als zugehörig zu dem Geschlecht, mit welchem sie sich identifizieren, gelesen zu werden. Ja ja, aus der privilegierten Warte sind Privilegien unsichtbar. Diesen Menschen wurde also anvertraut, das «konstruktive Gespräch auf Augenhöhe» zu suchen, ob «Stern*chen, Boden_striche oder GROSSBUCHSTABEN mitten im Wort […] irritierend» wirken, wie es im Einladungstext heisst (Facebook-Event der Veranstaltung). Die Ausschreibung ist schon suggestiv. Wann wurde das letzte Mal darüber debattiert, ob «Anführungszeichen», […], eckige Klammern, Auslassungszeichen (und die Angabe der Quelle in Klammern) irritierend wirken? — Eben. Wir haben uns daran gewöhnt, dass zu einem präzisen Sprachgebrauch beim Zitieren eine gewisse Interpunktion gehört, die den Lesefluss aufhält. Aber wenn es darum geht, Schreibweisen zu verwenden, die präzis und respektvoll benennen, wie jemand angesprochen wird und wer gemeint ist in einer gegenderten Sprache wie dem Deutschen, dann wird der «Untergang der literarischen Hochkultur» und eine «Sprachverwirrung» heraufbeschworen. Diese JournalistInnen und SprachwissenschaftlerInnen, denen in unserer Gesellschaft überproportional grosse Macht über die Sprachverwendung und Glaubwürdigkeit bezüglich der Analyse der Sprachverwendung zugesprochen wird, verkörperten das Subjekt der Podiumsveranstaltung.

Das Objekt der Belustigung (seitens der JournalistInnen) und der wohlwollenden Analyse (seitens der WissenschaftlerInnen) waren genderqueere Menschen, People of Color und ihre Verbündeten, die einen respektvolleren und präziseren Umgang mit Sprache einfordern. Bereits bei der Einstiegsfrage, warum die Diskussion über gendergerechte Sprache so emotional geführt werde, zeigte sich, wie wehleidig diejenigen sind, die bezüglich Sprache eine Machtposition innehaben. Claudia Wirz sprach davon, dass «die Leute» eben allergisch reagieren würden, wenn ihnen jemand vorscheiben wolle, wie sie zu reden und schreiben hätten. Bemühungen um eine inklusivere Sprache nannte sie «ideologisch». Ronnie Grob zog einmal mehr den rechten Kampfbegriff der «Political Correctness» hervor und suhlte sich in der Kränkung, für unbedarften Sprachgebrauch kritisiert zu werden. Niemand fände es lustig, für den eigenen Tanzstil von fremden Leuten zurechtgewiesen zu werden. So sei es auch mit der Sprache.

Aha, seit wann haben meine queer-feministischen Mitstreiter’innen die Macht, verbindliche Normen durchzusetzen, wie sich Menschen zu äussern haben? Und was bitte schön ist nicht ideologisch am Festhalten am generischen Maskulinum, das die sprachgewordene Auskristallisation patriarchaler Machtverhältnisse, die Unsichtbarmachung und Abwertung weiblicher Existenzen und Erfahrungen, ist? Immerhin wies Daniel Elmiger darauf hin, wie die sprachliche Macht tatsächlich verteilt ist und dass das generische Maskulinum in den allermeisten Texten der Behördenkommunikation nach wie vor die Norm darstellt. Deborah Mühlebach warb für eine Fehlerkultur im Lernprozess hin zu einer inklusiveren Sprache. Das war eines der wenigen wohltuenden Statements an diesem Abend.

Wirklich grotesk wurde es, als die fünf weissen, privilegierten Menschen auf dem Podium über die Petition «Schaumküsse müssen nicht rassistisch sein» (zu meiner Haltung siehe: «Uff, es gibt auch gute Feminstinnen!») debattierten. Ronnie Grob und Claudia Wirz liessen sich darüber aus, wie diese von über 1000 Menschen unterschriebene Petition den ach so armen KMU-Inhaber um seine Existenz bangen liesse — «Rufmord» sei das — , während sie wiederholt genüsslich das Süssgebäck als «M**renkopf» bezeichneten. — Niemand hat durch diese Petition Gewalt erlitten und ich wage zu bezweifeln, dass deswegen der Umsatz eingebrochen ist. Sehr real ist hingegen die Gewalt und die Diskriminierung, die People of Color immer wieder erleiden. Kein Wort dazu. Kein Wort dazu, wie Sprache Wirklichkeit formt. Die ganze Geschichte wurde so verdreht, dass die weissen latenten Rassist’innen, die als Fetisch bewusst die rassistische Bezeichnung für das Süssgebäck verwenden (politisch inkorrekt zu gelten ist doch cool, oder?), als Opfer dastehen, weil sich jemand erfrecht hat, sie freundlich aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass ihre Ausdrucksweise rassistisch sei.

Ich könnte mit haarsträubenden Beispielen von verletzenden, herabsetzenden und ignoranten Äusserungen der PodiumsteilnehmerInnen und Gästen weiterfahren. Ich lasse es. Nur so viel: Wer Personen bewusst misgendert, outet sich als Fiesling. Ich kann und will niemanden daran hindern. Doch ich bin einigermassen schockiert, dass es 2018 noch salonfähig ist, sich auf einem Podium als fiese Person zu profilieren (ja, Ronnie Grob und Claudia Wirz, ihr seid gemeint).

Wer journalistisch tätig ist, hat Macht, den Leser’innen implizit und explizit Konzepte zu vermitteln. Macht geht mit Verantwortung einher. Vom nötigen Verantwortungsbewusstsein habe ich bei Ronnie Grob und Claudia Wirz nichts gespürt. Sorry, wir haben 2018. Das generische Maskulinum ist einfach nicht mehr akzeptabel. Alles andere als zu kompliziert abzutun ist eine schampar bequeme Haltung. Wer unpräzise oder gar bewusst verletzende Begriffe verwendet, schreibt nicht gleich gut wie andere. Das gibt berechtigterweise Notenabzug.

Ja, ich bin wütend! Wut tut gut.

Ich weiss, dass der Effort für jede emanzipatorische Bewegung von den Menschen erbracht werden muss, die in der Vergangenheit mit weniger Rechten ausgestattet und weniger gesehen und gehört wurden. Das ist ungerecht, aber damit kann ich leben. Doch ich hasse es verdammt noch mal, wenn die Privilegierten nach unten treten und Bemühungen für ein gleichberechtigteres und respektvolleres Zusammenleben diffamieren.

Sprache ist für alle da. Verwendet sie, wendet sie um, seid kreativ!

PS: Ein schönes Beispiel für kreativen Sprachgebrauch finde ich QUILTBAG, ein von Sadie Lee geprägter Begriff für das LGBTIQA*-Spektrum. Ich habe ihn auch erst diese Woche via folgenden Tweet kennengelernt:

Quelle: Hello, My Queer Comrades!

Update 10. März 2019

Ich habe den Artikel sprachlich leicht überarbeitet, indem ich zur Apostroph-Notation als inklusive Pluralform für gemischtgeschlechtliche Gruppen gewechselt habe. Der Apostroph ist ein Auslassungszeichen und steht für das Gender-Sternchen oder den Unterstrich.

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User Interface Developer und Spezialistin für Inclusive Design bei @zeix, queer-feministische Denkerin und Aktivistin, schreibt für @be_queer (sie/ihr)