Gegen den Hass. Für die Liebe.

Esther Brunner
be queer!
Published in
5 min readApr 2, 2019

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Hassäusserungen sind eine Form von politischer Gewalt. Sie sollen Menschen zum Schweigen bringen, die von Normen abweichen. Meine Antwort an der Benefiz-Gala für #NetzCourage ist ein Liebesbrief. Denn eine Sprache für meine Liebe zu finden, ist auch ein politischer Akt.

Esther Brunner beim Feministischen Salon gegen Hass. Und für die Liebe. 1. April 2019.

Etwa vor einem halben Jahr erlebte ich einen Übergriff, den ich in einem Tweet schilderte. Ausser Freund'innen, die ihr Mitgefühl ausdrückten, wurden leider auch einige Nazi-Accounts auf meinen Tweet aufmerksam. Wie bei vielen anderen Opfern von sexualisierter Gewalt, die mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit treten und die Grenzüberschreitungen anprangern, haben sie meine Geschichte angezweifelt, mich beschämen und abwerten wollen, mir Mitschuld gegeben, Fehler bei mir gesucht und sich über mich lustig gemacht.

Dieses Verhalten der zumeist rechten Trolle erfüllt einen Zweck. Ich folge hier der erhellenden Analyse der Philosophin Kate Manne, die in ihrem Buch «Down Girl» Misogynie als die Strafverfolgungsabteilung einer patriarchalen Ordnung sieht. Opfer sexualisierter Gewalt haben zu schweigen. Das habe ich nicht gemacht. Das gehört bestraft. Bestraft mit verbaler Herabsetzung. Es geht nicht um mich, sondern darum, dass andere sehen, mit welchen Erniedrigungen Menschen (vor allem Frauen, Enbys, Queers, People of Color, Menschen mit Behinderung und Armutsbetroffene) als Strafe für Normverstösse zu rechnen haben.

Hate Speech hat genau diese Funktion: Menschen, die von der Norm abweichen, zum Schweigen zu bringen. Die Grenze des Sagbaren zu verschieben. Die Perspektiven von Menschen ausserhalb der Norm sollen unsichtbar gemacht werden. Gleichzeitig wird mit Verweis auf die Meinungsäusserungsfreiheit das Recht eingefordert, verbale Gewalt gegenüber Menschen ausserhalb der Norm als diskutable Meinung gelten zu lassen.

Lassen wir uns nicht verwirren! Gewalt, auch verbale Gewalt, ist keine Meinung. Der Sprechakt von verbaler Gewalt zielt nicht darauf ab, eine wahrheitsfähige Aussage zu machen, sondern will bewusst andere Menschen verletzen.

Deshalb ist es richtig und wichtig, das Antidiskrimierungsgesetz um ein Verbot von lesben- und schwulenfeindlichen Äusserungen zu erweitern, wie das Parlament im Dezember beschlossen hat. Das Parlament hat jedoch gleichzeitig — sehenden Auges — den Schutz vor Hassäusserungen aufgrund der Geschlechtsidentität aus dem Gesetz gestrichen. Die cis ParlamentarierInnen haben damit trans- und intergeschlechtliche Menschen unter den Bus geworfen.

Die schwächsten Glieder im LGBTIQA-Regenbogenspektrum vom Diskrimierungsschutz auszunehmen, ist inakzeptabel!

Schämt euch! Wir sind mehr als ein Nebenwiderspruch!

Wir existieren. Wir lassen uns nicht auslöschen und durch Hassrede zum Schweigen bringen!

Themenwechsel. Letztes Jahr lernte ich eine spannende neue Person kennen. Beim ersten Treffen sprachen wir von den Herausforderungen und Verletzungen in Liebesbeziehungen, über Feminismus, queere Lebensweisen und erotische Erlebnisse. Auf die Zukunft angesprochen, wurde ich nachdenklich: «Ich fürchte, wir werden die nächsten 10 Jahre damit verbringen, den Faschismus zu bekämpfen.»

Ich stelle besorgt fest, dass es wieder salonfähig wird, Menschen aufgrund von zugeschriebenen Gruppeneigenschaften verbal zu verletzen. Und wie wir in anderen Ländern mit autoritären bis faschistoiden Regierungen beobachten können, bleibt es nicht bei verbaler Gewalt. In der Türkei, in den USA und in Brasilien ist die Zahl von gewalttägigen Hassverbrechen gegen marginalisierte Menschen in den letzten Jahren markant gestiegen.

Viel lieber würde ich nicht gegen Hass kämpfen, sondern meine Zeit und Energie in Liebe stecken. Und weil ich glaube, dass Liebe eine starke Kraft ist, die Hass entwaffnen kann, möchte ich euch einen Liebesbrief vorlesen.

Eine Vorbemerkung: Liebesbriefe sind politisch.

Die Vor-Bilder zu Liebe und Sexualität in unserer Gesellschaft sind Trash!

Fast alle Liebeslieder der Popkultur muss ich im Kopf übersetzen, weil sie eine heterosexuelle Norm voraussetzen. Fast alle Liebesszenen in Filmen zeigen monoamore Verliebtheit, in der toxische Eifersucht als Liebesbeweis hochstilisiert wird. Ganz zu schweigen vom unrealistischen Bild über Sex und des ausgeblendeten Einholens von Zustimmung in der Mainstream-Pornografie.

Viele unpassende Bilder und Worte, fehlende passende Worte und Bilder, haben mich lange sprachlos zurückgelassen. Ich war liebes-stumm. Eine Sprache für meine Liebe zu finden, ist deshalb auch ein subversiver politischer Akt.

Liebe Michelle

Ich stehe nackt vor dir. Doch ich schäme mich nicht. Ich brauche mich nicht zu schämen. Ich weiss, dass du mich so willst, wie ich bin. Bei dir darf ich so sein, wie ich gerade bin. Mit all meiner Verletzlichkeit, meinen Narben, meiner Lust und meiner Verspieltheit.

Ich fühle mich sicher in deiner Gegenwart. Ich fühle mich sicher, weil ich weiss, dass das, was du an mir schätzst, nicht an ein Geschlecht, nicht an die Farbe meiner Haut oder Haare, nicht an die Formen meines Körpers gebunden ist. Und doch begehrst du mich, so wie ich dich begehre. Ich will deine Wärme spüren, die mich vergessen lässt, dass die Welt da draussen oft kalt und gemein ist. Ich will deine Energie spüren, die mir Halt gibt und mich nährt.

Bei dir will ich schwach sein. Ich will in deinen Armen weinen können.

Du bist nicht perfekt. — Ganz im Gegenteil. Ein Unfall und jahrelange strukturelle Gewalt von Behörden und Versicherungen haben dich schwer verwundet. Die Folgen behindern dich bis heute. Aber von allem Anfang an habe ich bewundert, wie du dich von deiner schweren Geschichte nicht behindern lässt. Ich liebe, wie du deinen Mut, deine Lebensfreude und deine Warmherzigkeit bewahrt hast. Ich lernte und lerne viel von dir. Das macht unsere Liebe so lohnenswert für mich.

Du bist nicht nett zu mir. — Du weist mich oft ab und machst mich auf Unangenehmes aufmerksam. Ich kann mich darauf verlassen, dass du «nein» sagst, wenn dir etwas nicht passt. Weil du dich liebst. Ich kann mich darauf verlassen, dass du aufhörst, wenn ich «nein» sage. Weil du mich liebst. Die Gewissheit, dass «nein» «nein» bedeutet, erlaubt uns beiden, jederzeit für uns einzutreten. So können wir hemmungslos unsere Bedürfnisse und Wünsche auf den Tisch legen. Das macht unsere Liebe so unverwüstlich für mich.

Du bist nicht die einzige. — Das würde ich dir auch nie versprechen. Du weisst, dass du mich nicht besitzen kannst. Ich gehöre mir, so wie du nur dir gehörst. Wir können uns beide darauf verlassen, dass wir verstanden haben, dass Liebe nicht weniger wird, wenn wir sie mit mehr Menschen teilen. Andere Lieblingsmenschen von dir und von mir sitzen im Publikum. Sie freuen sich mit uns, weil sie spüren, wie stark unsere Liebe ist und sie dennoch einen unbestrittenen Platz in unseren Herzen haben. Das macht unsere Liebe so einzigartig für mich.

Du bist nicht alles für mich. — Das wäre ein unerfüllbarer Anspruch. Ich habe Sehnsüchte, die du nicht erfüllen kannst oder willst. Und auch nicht musst. So wie ich auch nicht all deine Wünsche erfüllen kann und will. Im Wissen um meine und deine Grenzen können wir beide mit anderen lieben Menschen andere Formen von Herausforderung und Bestätigung suchen und erleben. Und doch wissen wir beide, dass die Vertrautheit und Verbundenheit, die wir gemeinsam haben, nicht übertragbar ist. Das macht unsere Liebe so unersetzlich für mich.

Ich kann mich dir hingeben, weil ich weiss, dass du mich auch wieder loslässt. Du weckst den Schalk in mir. Du inspirierst mich — nach wie vor.

So wunderbar, dass ich mit dir das Leben teilen darf.

Danke!

Esther Brunner und Michelle Biolley nach der Rede.

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User Interface Developer und Spezialistin für Inclusive Design bei @zeix, queer-feministische Denkerin und Aktivistin, schreibt für @be_queer (sie/ihr)